Pflichtdienst: Wüstner fordert Erfassung aller Wehrfähigen (2024)

Der Deutsche Bundeswehrverband sieht in der Diskussion über die Wehrpflicht politischen Handlungsbedarf. In einem ersten Schritt brauche die Bundeswehr die Möglichkeit festzustellen, wer wehrfähig sei, sagte Verbandschef André Wüstner in der Talksendung "Mitreden! Deutschland diskutiert". Er räumte allerdings fehlende Strukturen ein. Es sei naiv gewesen, diese Infrastruktur mit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 aufzulösen.

  • Zum Artikel: Personalnot – braucht Deutschland wieder eine Wehrpflicht?

Wüstner: Wehrpflicht ja – aber nicht wie früher

Dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) derzeit Konzepte zur Einführung eines neuen Wehrpflichtmodells erarbeitet und die Truppe in Richtung Bündnis- und Landesverteidigung umstrukturiere, sei zu begrüßen. Fähigkeiten müssten aber auch personell unterfüttert werden. Wüstner sagte: "Ich merke nur, dass in der Personalgewinnung auch mit Blick auf eine Reserve die aktuellen Konzepte nicht ausreichen." Man müsse tätig werden und könne nicht noch länger warten, um überhaupt Konzepte zu erarbeiten. Es sei "eigentlich schon kurz vor zwölf".

Wüstner zufolge haben die Wehrpflicht und auch der Ersatzdienst viele Vorzüge. Im Kern brauche es dafür eine sicherheitspolitische Begründung. Diese sei "momentan eindeutig gegeben", so der Verbandsvorsitzende mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Die alte Form der Wehrpflicht steht für Wüstner, dessen Verband unter anderem aktive Soldaten und Reservisten vertritt, nicht zur Debatte. "Dennoch müssen wir überlegen, in welcher Art und Weise wir erfassen oder wieder mustern." Konkret sollte die Bundeswehr laut ihm noch in dieser Legislaturperiode die Möglichkeit bekommen, die Daten aller wehrfähigen Menschen zu erfassen, um diese anzuschreiben und über den Dienst in der Bundeswehr informieren zu können.

Wehrpflicht: CDU will "verpflichtendes Gesellschaftsjahr"

Auch die CDU will zurück zur Wehrpflicht. "Wir werden die Aussetzung der Wehrpflicht schrittweise zurücknehmen und die Wehrpflicht in ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr überführen", heißt es in einem Beschluss des CDU-Parteitags in Berlin vom Dienstag für das geplante neue Grundsatzprogramm. "Bis zu dieser Umsetzung fordern wir zur Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr die Einführung einer Kontingentwehrpflicht."

Ein Kontingentmodell sieht vor, dass die Bundeswehr selbst ihren Personalbedarf nennt. Nach der Musterung eines Jahrgangs werde dann nur ein Kontingent in der gewünschten Größenordnung eingezogen. Schweden verfügt über ein ähnliches Modell.

Caritas: Rechtsanspruch auf freiwilligen Dienst statt Wehrpflicht

Skeptisch zum Thema Wehrpflicht äußerte sich in der Talksendung die Präsidentin des deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa. Mit Blick auf die Wehrgerechtigkeit sei es am Ende "vielleicht doch klug, bei der bisherigen Regelung zu bleiben und den Wehrdienst nicht wieder einzuführen". Sie schlug vor, auf Basis von Freiwilligkeit nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um junge Menschen zu gesellschaftlichen Diensten zu bewegen. Damit habe auch die Caritas nach dem Ende von Wehr- und Ersatzdienst gute Erfahrungen gemacht.

"Überraschenderweise haben wir mit dem freiwilligen Sozialen Jahr und dem Bundesfreiwilligendienst die Lücke sofort schließen können", so Welskop-Deffaa. Die Caritas-Präsidentin sprach sich in diesem Zusammenhang für einen Rechtsanspruch für junge Menschen auf einen freiwilligen Dienst aus.

Umfrage: Braucht Deutschland eine Wehrpflicht?

Pflichtdienst: Wüstner fordert Erfassung aller Wehrfähigen (1)

Bildrechte: HR

Audiobeitrag

Logo von "Mitreden! Deutschland diskutiert"

Juso-Vize Rebbin: Junge Menschen engagieren sich schon stark

Lasse Rebbin, stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos, sieht eine Wehrpflicht ebenfalls skeptisch. In die Lebensplanung junger Menschen mittels einer kollektiven Verpflichtung stark einzugreifen – davon halten die Jusos laut ihm nichts.

Viele junge Menschen würden sich zudem bereits in verschiedensten Bereichen engagieren. Das zeigten auch die Zahlen in den Freiwilligendiensten. Überhaupt könne ein Engagement auch abseits vom Militär sinnvoll sein für die Gesellschaft, so Rebbin von der SPD-Jugendorganisation in "Mitreden!".

Wehrpflicht: Gemischte Reaktionen des Publiku*ms

Unter den zahlreichen Anruferinnen und Anrufern der Sendung waren die Meinungen sehr gemischt – ebenso bei denjenigen, die der "Mitreden!"-Redaktion ihre Ansicht schriftlich haben zukommen lassen. Mario Gurtler aus Raduhn in Mecklenburg-Vorpommern war einer von ihnen. Er etwa fände es "wichtig für alle, etwas für ihr Heimatland zu tun". Auch würde "einigen eine erzwungene Gemeinsamkeit gerade im sozialen Verhalten ganz guttun".

Thomas Ritter aus Nürnberg würde eine Dienstpflicht zwar begrüßen – jedoch nur, wenn sie "auch vom Alter unabhängig" ist. Wenn es nur die Hälfte der Bevölkerung träfe, also Männer unter 25, sei die Diskussion auch nicht annähernd fair. "Kein Cherry Picking, alle müssen hin" – das verlangt auch Marc Heydorn aus Norderstedt.

Julia Schmidt aus Wuppertal hingegen fragt nach alternativen Ansätzen zur Entwicklung des Friedens: "Warum kein verpflichtender Dienst im diplomatischen Dienst oder der Entwicklungszusammenarbeit?" Schießen zu lernen, könne doch im 21. Jahrhundert "nicht ernsthaft die einzige Antwort einer vermeintlichen Bildungsgesellschaft sein".

Wehrpflicht in Deutschland seit 2011 ausgesetzt

Die Wehrpflicht war in Deutschland 2011 nach 55 Jahren unter dem damaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ausgesetzt worden. Das kam in der Praxis einer Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich. Gleichzeitig wurden praktisch alle nötigen Strukturen für eine Wehrpflicht aufgelöst. Gesetzlich festgelegt ist aber weiter, dass die Wehrpflicht für Männer im Spannungs- und Verteidigungsfall wieder auflebt.

Mit Informationen von dpa und Reuters

"Mitreden! Deutschland diskutiert" ist das neue, deutschlandweite Debattenformat der ARD Inforadios. Es ist die erste bundesweite Sendung der Informationsprogramme, in der die Perspektiven und Meinungen, Erfahrungen und Fragen des Publiku*ms im Mittelpunkt stehen. Immer montags und donnerstags sind Hörerinnen und Hörer eingeladen, live über Themen zu diskutieren, die das Land bewegen – von 20.15 Uhr bis 22Uhr.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!

Pflichtdienst: Wüstner fordert Erfassung aller Wehrfähigen (2024)

FAQs

Wann muss man nicht zum Wehrdienst? ›

Die Wehrpflicht endet gemäß § 3 Abs. 5 im Spannungs- und Verteidigungsfall für alle Wehrpflichtige mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 60. Lebensjahr vollenden.

Was sind grundwehrdienstleistende? ›

Der Grundwehrdienst ist eine der Präsenzdienstarten. Ein Zivildienst von neun Monaten Dauer (bis 31. Dezember 2005: zwölf Monate), einige Freiwilligendienste mit einer Mindestdauer von zehn Monaten oder ein 12-monatiger Auslandsdienst sind als Wehrersatzdienste zulässig.

Wer ist in Deutschland Wehrpflichtig? ›

Wer ist wehrpflichtig? Wehrpflichtig bleiben weiterhin alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind.

Was ist Wehrfähig? ›

Bedeutungen: [1] Wehrdienst leisten könnend. Synonyme: [1] wehrdiensttauglich, veraltend: waffenfähig.

Ist in den USA Wehrpflicht? ›

In den USA gibt es eine Wehpflicht nur noch de jure: Laut Quelle ist der Militärdienst in den Vereinigten Staaten seit 1973 freiwillig, allerdings könnte ein Gesetz des Kongresses im Falle eines nationalen Notstands die Wehrpflicht wieder einführen. In den meisten Ländern gibt es keine Wehrpflicht (mehr).

Kann man den Auslandseinsatz verweigern? ›

Der Antrag auf Kriegsdienstverweigerung kann sowohl von aktiven Soldatinnen und Soldaten, als auch von Reservistinnen und Reservisten sowie Ungedienten, also männlichen Staatsbürgern, die gemäß Wehrpflichtgesetz zum Kriegsdienst herangezogen werden könnten, gestellt werden.

Wie kann ich den Wehrdienst verweigern? ›

Alle können den Wehrdienst unter Berufung auf das Grundgesetz verweigern. Genau wie bis 2011, als die Wehrpflicht noch aktiv war, verleiht das Grundgesetz auch heute das Recht, den Dienst an der Waffe von vorneherein aus Gewissensgründen zu verweigern.

Kann man im freiwilligen Wehrdienst ins Ausland? ›

Ab einer Verpflichtungszeit von zwölf Monaten wird von den freiwillig Wehrdienstleistenden die Bereitschaft verlangt, auch an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilzunehmen. Es sei denn, sie leisten ihren freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz.

Was passiert wenn man nicht zur Bundeswehr geht? ›

Es können Gerichtsverfahren folgen, an deren Ende der Verweigerer fast immer vom Wehrdienst befreit ist, aber unter Umständen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden kann.

Kann ich mit 60 Jahren noch eingezogen werden? ›

Die Zuziehung zu einer DVag (Paragraph 81 Soldatengesetz) ist auf freiwilliger Basis nur bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres möglich. Danach ist dies nicht mehr möglich. Es gibt keine Ausnahmen.

Wie kommt man zum freiwilligen Wehrdienst? ›

Die Voraussetzungen für den Freiwilligen Wehrdienst
  1. Du bist mindestens 17 Jahre alt. ...
  2. Du bist mindestens 1,55 Meter groß.
  3. Du hast die Vollzeitschulpflicht erfüllt.
  4. Du besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.
  5. Du bist bereit, dich bundesweit versetzen zu lassen.

Kann ich als Deutscher ins Bundesheer? ›

Bereits im Alter von 17 Jahren können Sie sich mit der Zustimmung Ihrer Eltern beim Bundesheer bewerben. Ihre Interessen bestimmen, welcher Job am besten zu Ihnen passt: Das Bundesheer bietet Ihnen eine breite Auswahl an Fachrichtungen und Ausbildungsmöglichkeiten mit fairer Bezahlung und guten Aufstiegschancen.

Wer ist nicht Wehrdienstfähig? ›

1. wer vorübergehend nicht wehrdienstfähig ist, 2. wer, abgesehen von den Fällen des § 10, Freiheitsstrafe, Strafarrest, Jugendstrafe oder Jugendarrest verbüßt, sich in Untersuchungshaft befindet oder nach § 63 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist.

Wer erhält wehrsold? ›

(1) Wehrsold erhalten Soldatinnen und Soldaten, die Wehrdienst nach § 58b des Soldatengesetzes leisten. (2) Zum Wehrsold gehören folgende Geldbezüge: 1.

Wie viele Wehrpflichtige hat Deutschland? ›

Anzahl der Soldaten und Soldatinnen bei der Bundeswehr von 2000 bis 2024¹
MerkmalBerufs-, ZeitsoldatenGrundwehrdienstleistende
2020175.526-
2019175.330-
2018173.022-
2017170.519-
9 more rows

Kann man sich von der Wehrpflicht befreien? ›

Der Antrag ist von der Antragstellerin oder dem Antragsteller schriftlich oder zur Niederschrift beim Kreiswehrersatzamt (Karrierecenter der Bundeswehr) - nicht beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben - zu stellen.

Wann ist man nicht Wehrdienstfähig? ›

1. wer vorübergehend nicht wehrdienstfähig ist, 2. wer, abgesehen von den Fällen des § 10, Freiheitsstrafe, Strafarrest, Jugendstrafe oder Jugendarrest verbüßt, sich in Untersuchungshaft befindet oder nach § 63 des Strafgesetzbuches in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht ist.

Wer ist Wehrdienstfähig? ›

(2) Wehrdienstfähige Wehrpflichtige sind nach Maßgabe des ärztlichen Urteils voll verwendungsfähig oder verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten. Im Rahmen ihrer Verwendungsfähigkeit stehen sie für den Wehrdienst zur Verfügung, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Prof. Nancy Dach

Last Updated:

Views: 5259

Rating: 4.7 / 5 (57 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Prof. Nancy Dach

Birthday: 1993-08-23

Address: 569 Waelchi Ports, South Blainebury, LA 11589

Phone: +9958996486049

Job: Sales Manager

Hobby: Web surfing, Scuba diving, Mountaineering, Writing, Sailing, Dance, Blacksmithing

Introduction: My name is Prof. Nancy Dach, I am a lively, joyous, courageous, lovely, tender, charming, open person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.